Arbeit ohne Sinn – Sinn ohne Arbeit?

Zum Thema

Und weil es bald Winter wurde, begannen die kleinen Feldmäuse, Körner, Nüsse, Weizen und Stroh zu sammeln. Alle Mäuse arbeiteten Tag und Nacht. Alle – bis auf Frederick. „Frederick, warum arbeitest du nicht?“ fragten sie. „Ich arbeite doch“, sagte Frederick, „ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage.“

Leo Lionni

„Arbeit“ boomt in dem Maße, wie die Zahl der Arbeitsplätze sinkt. Landauf, landab, vor Parteien, Verbänden, Stiftungen und Akademien, auf Foren, Hearings, Seminaren, Tagungen und Kongressen referieren Experten beiderlei Geschlechts über die „Zukunft der Arbeit“ und die „Arbeit der Zukunft“ (oder wie sonst die Titel lauten). Dabei haben Schlagwörter wie „Deregulierung“ oder „Globalisierung“, „lean production“ oder „shareholder value“, „Flexibilisierung“ oder „Standortwettbewerb“ inzwischen eine geradezu mythische Qualität gewonnen, ist mit ihrem Gebrauch doch der Anspruch verbunden, Aussagen letzter Instanz zu treffen in einer Frage, von der der einzelne wie die Gesellschaft sich existentiell bedroht fühlen, – und dies nicht grundlos; denn während noch die Experten ihre Analysen und Lösungsstrategien präsentieren, steigt schon die Zahl der Arbeitslosen weiter an (was wiederum mit Hilfe obiger und verwandter Begriffe schlüssig erklärt werden kann…)
Gerade weil aber Arbeit wesentlicher Bestandteil der menschlichen Identität ist, bedeutet es eine perspektivische Verkürzung, das Thema „Arbeit“ allein unter der Kategorie ökonomischer Vernunft im Horizont des Arbeitsmarktes zu diskutieren. Mindestens ebenso wichtig ist die „Kritik der ökonomischen Vernunft“ (André Gorz), soll nach der Politik nicht auch noch die Reflexion den Imperativen des entfesselten Kapitalismus’ ausgeliefert werden.

Der Kleine Universitätstag versteht sich daher nicht als ein weiterer akademischer Beitrag zur Erklärung oder Lösung der Arbeitsmarktkrise, nicht als eine Kampagne zur geistig-moralischen Aufrüstung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Er kann und will seinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern keine unmittelbar verwertbaren Handlungsanweisungen vermitteln für die Wahl des aussichtsreichsten Studien- oder Ausbildungsplatzes, sie nicht fit machen für das nächste Vorstellungsgespräch; dazu gibt es andere Veranstaltungen an Gymnasien und Volkshochschule (und z. B. das Arbeitsamt).
Die Absicht des diesjährigen Kleinen Universitätstages ist es vielmehr – wie der Titel schon sagt -, das in der Wechselbeziehung von gesellschaftlichen Normen, Belohnungen, Sanktionen auf der einen und individuellen Bedürfnissen , Interessen, Motivationen auf der anderen Seite sich entwickelnde und verändernde Verständnis von „Arbeit“ aus unterschiedlichen Sinnhorizonten zu beleuchten und damit erst eigentlich frag-würdig zu machen. So reicht das Spektrum der Referent(inn)en vom bildenden oder schreibenden Künstler über die Gesellschafts- und Naturwissenschaftler/-innen der verschiedenen Spezialdisziplinen bis hin zum Selbstversorger im Asphaltdschungel Tokios. Das aus dieser Angebotspalette gewonnene Orientierungswissen mag dann jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer reflektierend (vita contemplativa) oder/und lebenspraktisch (vita activa) für sich produktiv machen.

Einige, die Einzelthemen bündelnde Aspekte seien skizziert:

  • „Arbeit“ ist nicht verstehbar ohne Komplementär- oder Kontrastbegriffe wie „Muße“, „Spiel“, „Freizeit“, die utilitaristische Rechtfertigung von „Arbeit“ – „Konsum“, „Ansehen“, „Macht“ – wäre unvollständig ohne „Glück“, „Zufriedenheit“, „Selbstverwirklichung“ als ihre eudaimonistische Ergänzung oder Gegenüberstellung. Solche dialektischen Zusammenhänge untersucht unter individueller oder sozialer Perspektive eine Reihe von Vorträgen des sprachlich-künstlerischen wie des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes.
  • Eine zweite Gruppe von Vorträgen befasst sich unter sozialpsychologischen Aspekten mit dem Thema. „Arbeit“ und die ihr zugeordneten Tugenden wie „Fleiß“, „Gründlichkeit“, „Hingabe“, „Effizienz“ oder „Rationalität“ sind nicht schon als solche, unabhängig von ihren Zwecken oder Ergebnissen, positiv zu bewerten. Daran zu erinnern erscheint nicht überflüssig in einer Gesellschaft, die ihr Selbstwertgefühl wesentlich aus ihrem hohen Arbeitsethos bezieht. Die Verteilung und Aufteilung von Arbeit spiegelt natürlich auch gesellschaftliche Machtverhältnisse. In diesem Zusammenhang ist auch die sexistische Komponente der Arbeit zu reflektieren, was in Beiträgen im gesellschaftswissenschaftlichen wie mathematisch-naturwissenschaftlichen Aufgabenfeld geschieht.
  • Selbstredend müssen die ökonomischen und sozialen Probleme der Gegenwart thematisiert werden, führt diese wirtschaftliche Strukturkrise doch nicht nur zum Um- und Abbau unseres Sozialsystems, sondern gefährdet vielleicht sogar die Grundlagen unserer Demokratie. Über das Thema Arbeitsmarkt und Sozialstaat handeln zwei Beiträge aus dem gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld.
  • Die Vorträge des mathematisch-naturwissenschaftlichen Aufgabenfeldes erweitern die kulturellen Perspektiven der „Arbeit“ z. B. durch den Vergleich zwischen Mensch und Tier, die Untersuchung biologisch-chemischer Voraussetzungen des Lernens, die Betrachtung evolutionärer Entwicklungen (Zeit, Computerviren) oder den Blick auf die Arbeitsmedizin.
  • Dass das Thema „Arbeit“ in den 21 Beiträgen des Kleinen Universitätstages nicht erschöpfend behandelt werden kann, darf als Entschuldigungstopos am Ende nicht fehlen. Trotzdem hoffen die Veranstalter, in der Summe der angebotenen Themen einen aufklärenden Beitrag über das Selbstverständnis unserer modernen „Arbeits-„ und „Erlebnisgesellschaft“ und einen Anstoß zur Sinnreflexion für den teilnehmenden „homo ludens“ im „homo faber“ (und umgekehrt) geleistet zu haben. Dann hat sich die nicht unbeträchtliche Arbeit gelohnt.